Wildtriebe von Ute Mank

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Kleine_Raupe
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Wildtriebe von Ute Mank

Beitrag von Kleine_Raupe » 19. Sep 2021, 13:32

Lisbeth ist Bäuerin durch und durch. Weil ihre Brüder im Krieg gefallen sind, war sie die Erbin des Hofes und musste schon früh Verantwortung übernehmen. Schwiegertochter Marlies ist ihr oft ein Dorn im Auge, denn Marlies hat so ganz eigene Vorstellungen von ihrem Leben. Auch Enkelin Joanna möchte ihren eigenen Weg gehen und bricht mit Traditionen, doch Lisbeth liebt sie dennoch heiß und innig.
Ute Mank lässt uns in ihrem Debütroman durch die Augen von drei sehr verschiedenen Frauen blicken. Drei Generationen, die auf dem Bethches-Hof zusammenleben, in einem kleinen Dorf in Hessen, das geprägt ist von der Landwirtschaft. Für jede von ihnen sind verschiedene Dinge wichtig, jede hat ihren ganz eigenen Lebensentwurf. Lisbeth ist verankert in Traditionen, der Hof ist ihr Lebensinhalt. Marlies emanzipiert sich, sowohl vom Leben als Bäuerin, als auch von der Männerwelt. Dennoch wirkt sie oft wie eine Gefangene in ihrem eigenen Leben. Es sind vor allem diese beiden Frauen, die die wichtigste Rolle im Buch einnehmen, durch deren Augen wir verschiedene Ereignisse erleben. Diese beiden Frauen sind so unterschiedlich, reiben sich an sich und ihren Erwartungen auf und scheinen nie zueinanderfinden zu können. Sprachlosigkeit ist ein großes Thema in diesem Roman. Aber schließlich ist da ja auch noch Joanna, wieder eine ganz neue Generation mit ihren eigenen Erwartungen und Vorstellungen. Auch die kollidieren von Zeit zu Zeit mit denen der anderen Frauen. Und doch ist hier etwas anders, Joanna findet die Worte, die ihrer Mutter und Großmutter so oft fehlen. Wird es Joanna gelingen eine Brücke zur Verständigung der Frauen zu schlagen?
Ich finde diesen Debütroman großartig! Die Figuren sind unglaublich gut herausgearbeitet und der Autorin gelingt es, mit ihrer kargen Sprache die Sprachlosigkeit zwischen den Frauen widerzuspiegeln. Zwischen den Zeilen ist dieser Roman allerdings voller Emotionen. Die Perspektivwechsel sind fließend, auch das fand ich überaus gelungen. Ich habe mich in dieses kleine Dorf in Hessen versetzt gefühlt und konnte die Gedanken und Gefühle der Frauen und diesen Generationenkonflikt absolut nachvollziehen.

Fazit: Ein lebenskluges, eindringliches Buch, großartig konstruiert! Für mich ein Highlight in diesem Jahr, ich vergebe gerne 5 Sterne und eine absolute Leseempfehlung!

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dieleistens
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Re: Wildtriebe von Ute Mank

Beitrag von dieleistens » 19. Sep 2021, 14:09

Auch von mir gab's hierfür die volle Punktzahl :D

Aufmerksam geworden war ich auf dieses Buch durch das mehr als schön , detailliert und liebevoll gestaltete Cover mit zart gemalten Blüten, von dem ich ganz sicher bin, dass es auf jeden Fall dazu geführt hätte, dass ich es auch in der Buchhandlung angesehen hätte! Im Zentrum steht die ältere Bäuerin Lisbeth vom sogenannten Bethches-Hof, die Anwesen werden nach den Namen der Familien benannt, diesen Brauch kannte ich bereits aus der Heimat meines Mannes in der Eifel. Fehlenden männlichen Erben geschuldet liegt die gesamte Verantwortung für den elterlichen Hof auf unserer Protagonistin, Bethches Lisbeth, die die Hoffnung hegt, dass ihre Schwiegertochter, die ihr Sohn zur Frau nimmt, eine Hilfe sein wird. Eine Hilfe in Haus und Hof bei der unsäglich vielen Arbeit. Doch Marlies, eben einer anderen viel moderneren Generation angehörend, erfüllt das traditionelle Rollenbild nicht, sondern möchte, als unweiblich angesehen, nicht nur in der Stadt arbeiten gehen, statt in der Landwirtschaft zu schuften. Außerdem Neues ausprobieren, etwa einen Jagd- und Traktorenschein machen, Fertigkeiten, die bisher eine Männerdomäne waren. Die beiden Frauen liefern sich stille Kämpfe, weniger durch laute Worte oder Diskussionen, denn durch leise spitze Bemerkungen und böse Blicke. Auch nach der Geburt von Enkelin Joanna wird all dies nicht besser, denn auch die unterschiedliche Kindererziehung stellt einen erheblichen Streitpunkt dar.
Der Schreibstil ist sehr flüssig und angenehm. Ich mochte die unaufgeregte leise Art und die Zwischentöne, mit der die Autorin die einerseits engstirnige, andererseits durch vorgegebene Traditionen und Strukturen Geborgenheit gebende Dorfgemeinschaft schildert. Klatsch und Tratsch, der sich schwer tut mit jedem uns allem abseits der Norm, aber auch sich aufeinander verlassen können, all das kennzeichnet die Menschen auf ihren Höfen. Ich konnte Marlies verstehen, dass sie sich mit all dem schwer getan hat, aber ich hatte durchaus auch große Sympathie für die alte Lisbeth, die durch das Beharren auf alt eingefahrenen Rollenbildern das Bewährte erhalten möchte. Ich glaube, dass uns allen ein "Stück Lisbeth", ein sich Abfinden mit dem zugewiesenen Platz in der Gesellschaft manchmal
gar nicht schlecht täte. Ute Mank zeichnet ihre Charaktere und deren innere Dialoge auf eine extrem empathische Art, man flog als Leser nur so über die Seiten hinweg und war allen handelnden Personen trotz ihrer Unterschiedlichkeit extrem und gleich nah. Für mich ein sehr gekonntes und gelungenes Gesellschafts- und Personenportrait, und eine absolute Leseempfehlung!

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