Kalteis. Roman
Guter gebrauchter Zustand. Minimal bestossen
Über den Autor und weitere Mitwirkende
Andrea Maria Schenkel, 1962 geboren, gilt als eine der renommiertesten Kriminalautorinnen Deutschlands. 2006 erschien ihr Debüt »Tannöd«, mit dem sie großes Aufsehen erregte. Der Roman wurde 2007 mit dem Deutschen Krimi-Preis, dem Friedrich-Glauser-Preis und der Corine ausgezeichnet. 2008 folgte der renommierte Martin Beck Award für den besten internationalen Kriminalroman. Das Buch wurde in bislang 20 Sprachen übersetzt und fürs Kino verfilmt. Auch für ihr zweites Buch »Kalteis« bekam sie begeisterte Kritiken und erhielt 2008 erneut den Deutschen Krimi-Preis. Die Autorin lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Regensburg.
Leseprobe. Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber. Alle Rechte vorbehalten.
er gleichen Haltung, die Hände gefaltet wie zum Gebet, das Gesicht zur Hälfte darin verborgen, die Ellbogen auf die Oberschenkel gestützt, bewegungslos. Die Zeit schwindet dahin. Es kommt ihm vor, als rinne sie durch seine Finger, an seinen Armen entlang, über die Beine hinab zum Boden. Ständig. Unaufhörlich. Und doch kann er sich trotz dieser Langsamkeit an nichts erinnern. Nicht an den Tag, die Nacht, die Stunde, die Minute ... Alles verschwimmt in diesem fahlen Licht, diesem endlosen Grau, als hätte auch er sich aufgelöst, als wäre sein Leben bereits verronnen.
Nichts, nichts ist geblieben, ein endloser Raum aus Nichts, nur Leere.
Selbst die Angst ist aus seinem Kopf, aus seinem Körper entwichen. Die Angst, die gestern noch greifbar war. Die langsam seinen Rücken entlang hoch bis in seinen Kopf kroch, Zentimeter für Zentimeter. Die seinen Körper, ihn ganz gefangen hielt. Tief in ihm lauernd, lähmte sie seine Gedanken und ergriff von jeder einzelnen Zelle seines Körpers, von seinem ganzen Ich Besitz. Selbst sie war im Laufe der Nacht dieser Leere gewichen. Hatte nicht standhalten können, sich nicht durchsetzen können gegen das Nichts, das ihn nun erfüllt, ausfüllt.
Irgendwann in dieser Nacht öffnet jemand die Klappe der Zellentür. Er, das Geräusch hörend, wendet den Kopf nicht. Warum auch? Es bedeutet nichts mehr. Nichts bedeutet mehr etwas. Nichts.
Als um sechs Uhr das Licht in der Zelle wieder angeschaltet wird, bemerkt er es nicht, um ihn herum ist das fahle, graue Licht der Nacht geblieben. Den Kopf weiter in die Hände gestützt, bleibt er auf seiner Pritsche sitzen. Mit dem Nichts, mit der Leere, die schlimmer ist als die Angst.
So sitzt er auch noch da, als gegen zehn vor sieben die beiden Männer die Zelle betreten.
Sie sprechen mit ihm, als sie hereinkommen, aber was sie auch sagen, er versteht es nicht. Worte dringen nicht mehr durch diese Leere, durch dieses Nichts hindurch, das ihn umgibt. Ihn einhüllt,