ZUR EINFÜHRUNG
Als der 23jährige spanische Student José Ortega y Gasset im Jahre 1906 nach Marburg kam, um sich dort 2 Jahre lang unter der Leitung von Hermann Cohen dem gründlichsten Studium der deutschen Philosophie zu widmen, konnte selbst er noch nicht voraussehen, welch köstliche Früchte die hier vollzogene Vermählung deutschen und spanischen Geistes, deutscher Gründlichkeit und Tiefe mit lateinischer Klarheit und Formbegabung einmal hervorbringen würde.
Inzwischen hat Ortega y Gasset Weltruhm erlangt, und seine Bücher und Schriften werden in allen Kulturländern, vor allem aber in Deutschland, mit Begierde aufgenommen und mit dem doppelten Genuß, den geistvolle Gedanken in anmutiger Form gewähren, gelesen. Was ihn dabei von den meisten deutschen Philosophen unterscheidet, ist nicht nur die Eleganz und Klarheit seines Sprachstils, der auch schwierigere Gedankengänge jedem aufmerksam Lesenden leicht zugänglich macht, sondern die unmittelbare Lebensnähe, in der sich sein Denken und Philosophieren bewegt. Er selbst hat einmal vor Jahren den Unterschied zwischen ihm, dem spanischen Philosophen, und seinen deutschen Fachgenossen dadurch gekennzeichnet, daß er nicht wie diese ruhig in seiner Studierstube philosophieren könne, sondern vieles auf einmal sein und tun müsse. Diese Vielfalt der Lebenskreise und Interessen ist es aber, die allen Schriften Ortegas die Weite und Tiefe und die heiter-geistige Urbani-tät gibt, durch die sich jeder Leser mensclilich angesprochen fühlt.
Von dem ganzen Reichtum der Gedankenwelt Ortegas und dem Glanz und der Schönheit seines Stils kann naturgemäß auch die beste Auswahl nur eine annähernde Vorstellung vermitteln. Im Rahmen des Möglichen wurde aber in dem vorliegenden Band versucht, dem Leser einen Einblick in das Schaffen des großen spanischen Denkers zu geben und ihn mit seiner Art, die Welt, das Leben und den Menschen zu betrachten, vertraut zu machen.
Über die spanische Landschaft, über Frauen und Liebe ist kaum jemals Schöneres und Tieferes gesagt worden als in den Aufsähen, die unsere Auswahl einleiten. — Zu weltweiter Wirkung erhob sich aber das Buch vom „Aufstand der Massen", in dem das für die Menschkeitsentwicklung so entscheidende Problem der Herbeiführung eines richtigen Verhältnisses zwischen Masse und Elite eine überaus geistvolle und aufschlußreiche Beleuchtung erfährt.
Vor allem aber geht es Ortega um den Menschen selbst und seine Rettung aus dem „Schiffbruch des Lebens". Was er zu diesem unerschöpflichen Thema in den letjten vier Abschnitten des Bandes ausführt, ist zwar für jeden aufmerksamen Leser ohne weiteres verständlich, mag aber doch vielleicht durch kurze Hinweise auf........